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AutorenbildJacob Rockinger

Diagnostik in der Kritik

Aktualisiert: 3. Aug.



Die Diagnostik in der Psychologie und Psychiatrie ist ein zentrales Thema, das seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert wird. Besonders das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) und die International Classification of Diseases (ICD) stehen im Fokus der Kritik. Es ist wichtig zu verstehen, dass Diagnosen in erster Linie eine Kategorisierung von Symptomen darstellen. Diese Kategorisierungen sind oft nicht evidenzbasiert und unterliegen starken Verzerrungen (Bias) . Dieser Artikel beleuchtet die Herausforderungen und Limitationen der aktuellen diagnostischen Systeme und diskutiert alternative Ansätze, um eine ganzheitlichere und menschlichere Behandlung zu ermöglichen.

 

 

Fehlende Ressourcen und Bewältigungsstrategien

 

Ein zentraler Kritikpunkt am DSM-5 und ICD-11 ist, dass sie sich primär auf symptomatische Diagnosen stützen und wichtige Faktoren wie Ressourcen, Bewältigungsstrategien und das Intelligenzniveau der Patienten nicht ausreichend berücksichtigen. Van der Kolk argumentiert, dass diese Systeme oft zu einer übermäßigen Etikettierung führen, ohne den Patienten wirklich zu helfen . Dies führt zu einer systematischen Kategorisierung der menschlichen Seele, die gemäß der Poly-Mind-Theory von Schwartz nicht möglich ist .

 

 

Zunehmende Etikettierung und Systematisierung

 

Die zunehmende Etikettierung und Systematisierung der menschlichen Psyche wird ebenfalls kritisiert. Laut der Poly-Mind-Theory ist die menschliche Seele zu komplex, um in starre Kategorien gepresst zu werden . Diese Theorie betont die Notwendigkeit eines multimethodischen Ansatzes, der verschiedene diagnostische und therapeutische Methoden kombiniert, um ein umfassenderes Bild des Patienten zu erhalten.

 


Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung (cPTSD)

 

Ein weiteres Beispiel für die Herausforderungen der Diagnostik ist die komplexe Posttraumatische Belastungsstörung (cPTSD), die erst nach mehr als zehn Jahren in das europäische ICD-11 aufgenommen wurde . cPTSD umfasst Symptome wie Depressionen, Angstzustände und schizophrene Zustände, die oft durch Mikrotraumatisierungen und Echopsychosen ausgelöst werden. Peter Walker, ein Psychotherapeut in San Francisco kritisiert die hohe Rate an Fehldiagnosen (Depression, Angststörung, Schizophrenie, Persönlichkeitsstörung), während ursächlich eine cPTSD vorliegt. Die Behandlung erfordert einen langfristigen, multimethodischen Ansatz.

 


Unzufriedenheit mit dem DSM

 

Seit über 40 Jahren äußern Psychologen und Therapeuten ihre Unzufriedenheit mit dem DSM. Es wird kritisiert, dass die Diagnose lediglich eine Etikettierung darstellt, ohne tiefere Einblicke in die Lebensgeschichte, Ressourcen und inneren Konflikte des Patienten zu bieten. Die Kritik am DSM-5 und ICD-11 ist gut dokumentiert. Professor Wolfgang Maier von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) kritisiert, dass das DSM-5 natürliche Anpassungsprozesse, wie Trauer, pathologisiert . Auch die BPtK äußert Bedenken, dass das Aufweichen der Diagnosekriterien zu einer Überdiagnostik und unnötigen Behandlungen führen kann .Ein weiterer Kritikpunkt ist die Einführung neuer Diagnosen, die möglicherweise normale Verhaltensweisen pathologisieren. Dies könnte zu einer Überlastung des Gesundheitssystems führen und Menschen unnötig stigmatisieren .

 


Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD-3) – eine kleine Besserung

 

Um diesen Mangel zu beheben, wurde die Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD) entwickelt. Die neueste Version, OPD-3, bietet ein multiaxiales Diagnosesystem, das psychodynamische Modelle wie Krankheitserleben, Beziehungsmuster, intrapsychische Konflikte und strukturelle Funktionen reliabel erfasst. Zahlreiche empirische Studien belegen die Validität der OPD-Befunde.

 


Vorteile von Diagnosen

 

Trotz der Kritik haben Diagnosen auch ihre Vorteile. Sie ermöglichen eine systematische Ursachenforschung und helfen dabei, spezifische Störungen besser zu verstehen. Diagnosen sind oft die Grundlage für die Finanzierung von Forschungsgeldern und ermöglichen die Entwicklung von Behandlungsmanualen, die standardisierte Therapieansätze bieten. Zudem fördern sie die wissenschaftliche Forschung, indem sie klare Kriterien für Studien und klinische Trials bereitstellen.

 

Mein Fazit

 

Die Kritik an den aktuellen diagnostischen Systemen in der Psychologie und Psychiatrie ist vielfältig und gut begründet. Es ist klar, dass eine reine symptombasierte Diagnostik nicht ausreicht, um die Komplexität der menschlichen Psyche zu erfassen. Ein ganzheitlicher Ansatz, der die Lebensgeschichte, Ressourcen und Bewältigungsstrategien des Patienten berücksichtigt, ist dringend erforderlich. Nur so kann eine wirklich effektive und menschliche Behandlung gewährleistet werden.

 

 



 

Literaturverzeichnis

 

Frances, A. (2014). Lehren, die aus den Fehlern in DSM 5 zu ziehen sind. Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie, 64(1), 34-40.Van der Kolk, B. A. (2015). The body keeps the score: Brain, mind, and body in the healing of trauma. Penguin Books.


Schwartz, R. C. (1995). Internal family systems therapy. Guilford Press.World Health Organization. (2018).


International classification of diseases for mortality and morbidity statistics (11th Revision).Bundespsychotherapeutenkammer. (2013).


BPtK kritisiert Aufweichen der Diagnosekriterien im neuen DSM-V. Deutsches Ärzteblatt. Arbeitskreis


OPD. (2014). Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik OPD-3: Das Manual für Diagnostik und Therapieplanung. Hogrefe Verlag.


Maier, W. (2013). Kritischer Blick aufs DSM-5.


Ärzte Zeitung. Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie. (2013). Trauer ist keine Krankheit - Kritik am DSM-V. DGSF.

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